Urteil des Landesgerichtes zur Mietzinsminderung bei COVID-19 (bei Buchhändler)
Eine aktuelle Entscheidung bestätigt das „Mietzinsminderungsrecht“ der Mieterseite bei Betretungsverboten wegen COVID-19
Die Medien haben schon berichtet, dass es Rechtsstreitigkeiten bezüglich der Frage gibt, ob ein/e Mieter/in während des Betretungsverbotes wegen COVID-19 Miete zu bezahlen hat, oder nicht. Nun liegt eine Entscheidung des LG ZRS (17.2.2021, 39R27/21s ) im Volltext vor. Hier Auszüge aus der Entscheidung (mit Hervorhebungen)
1. Wenn die in Bestand genommene Sache wegen außerordentlicher Zufälle, als Feuer, Krieg oder Seuche, großer Überschwemmungen, Wetterschläge, oder wegen gänzlichen Misswachses gar nicht gebraucht oder benutzt werden kann, so ist der Bestandgeber gemäß § 1104 ABGB zur Wiederherstellung nicht verpflichtet, doch ist auch kein Miet- oder Pachtzins zu entrichten.
Behält der Mieter trotz eines solchen Zufalls einen beschränkten Gebrauch des Mietstücks, so wird ihm auch ein verhältnismäßiger Teil des Mietzinses erlassen (§ 1105 1. Satz ABGB). […]
Nach der Verordnung des Bundesministers für Arbeit, Soziales, Gesundheit und Konsumentenschutz betreffend anzeigepflichtige übertragbare Krankheiten 2020, BGBl II Nr. 15/2020, ist das „neuartige Corona-Virus“ anzeigepflichtig. In Hinblick darauf, dass die WHO von einer Pandemie spricht, ist die Krankheit „Covid-19“ jedenfalls im Hinblick auf die zu ihrer Bekämpfung erlassenen Gesetze und Verordnungen als Seuche im Sinne des § 1104 ABGB anzusehen (siehe etwa kurz und prägnant Rainer in immolex 2020, 101; ebenso Prader ibid., 138-139; Prader/Gottardis in immolex 2020, 106; ebenso Kronthaler aaO 321; Tamerl in ZaK 2020, 108; Edelhauser in ÖJZ 2020, 344f; Ofner in ZfRV 2020, 109; Karauschek in immoaktuell 2020, 81; Ebhart ibidem 85; Rosifka in VbR 2020, 90; Hochleitner in ÖJZ 2020, 536f; Fadinger/Seeber in wobl 2020, 190; Laimer/Schickmair in Resch, Corona-HB1.04 Kap 11 Rz 7; Ehgartner/Weichbold in wbl 2020, 252; gegenteilig Broesigke/Ruf in immoaktuell 2020, 79). Diese Ansicht dürfte auch in der bisherigen erst- und zweitinstanzlichen Rechtsprechung herrschend sein (etwa BG Meidling 9 C 368/20b, dazu Die Presse vom 2. November 2020, 13, und Singer/Kessler in immolex 2020, 386ff; BG Meidling 9 C 361/20y, dazu Die Presse vom 14.12.2020, 16; zuletzt LGZ Wien 39 R 250/20h).
2. Nach § 1 COVID-19-Maßnahmengesetz BGBl 2020/12 und den darauf basierenden Verordnungen des Bundesministers für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz war ab 16.3.2020 das Betreten des Kundenbereichs von Betriebsstätten des Handels und von Dienstleistungsunternehmen zum Zweck des Erwerbs von Waren oder der Inanspruchnahme von Dienstleistungen untersagt, ausgenommen waren lediglich Bereiche der Grundversorgung, wie etwa der Lebensmittelhandel, öffentliche Apotheken oder Drogerien. Ab 14. April wurde die Maßnahme für kleinere Objekte – wie jenes des Klägers – gelockert, diese Geschäfte durften ab 14.4.2020 wieder betreten werden.
Den Berufungswerbern ist darin Recht zu geben, dass die Gebrauchsbeeinträchtigungen nicht unmittelbar aus der Pandemie selbst resultierten: Beseitigen oder beschränken die wegen der Pandemie ergriffenen legistischen Maßnahmen aber auch die Nutzungsmöglichkeit des Bestandobjekts, sind sie als Folge der Pandemie den §§ 1104 f ABGB zu unterstellen. Es bedarf also keiner Substanzschädigung des Objektes, wofür nicht nur die in § 1104 ABGB ausdrücklich genannte „Seuche“, die naturgemäß auf die Substanz des Objektes keinen Einfluss hat, spricht, sondern vor allem der Zweck der gesetzlichen Regelungen: Entscheidend ist, ob die Gebrauchsmöglichkeit objektiv – gemessen am Vertragszweck – beseitigt oder eingeschränkt ist (Lovrek in ZIK 2020/60 Spezial online „Covid-19-Insolvenzrecht“, Heft 1a, Seite 3; siehe auch Höllwerth in GeKo WohnR I § 1104 Rz 14).
Wenn sogar eine Beschlagnahme einer Wohnung durch die Besatzungsmacht als Anwendungsfall des § 1104 ABGB anerkannt wird (RIS-Justiz RS0038602, RS0024896, RS0024903), so ist dies umso mehr dann der Fall, wenn behördliche Betretungsverbote in Bezug auf den Kundenbereich nahezu sämtlicher Handelsunternehmen erlassen werden. Die Betriebsschließung ist daher in einem solchen Fall die Folge eines außerordentlichen Zufalls im Sinne des § 1104 ABGB, weshalb der Gebrauch des Bestandobjektes nicht „aus einem dem Bestandnehmer zugestoßenen Hindernisse oder Unglücksfalle vereitelt“ worden ist (§ 1107 ABGB). Die gegenteilige Ansicht von Broesigke/Ruf (in immoaktuell 2020, 80) ist vereinzelt geblieben.
3. Wird das Bestandstück während der Bestandzeit ohne Schuld des Bestandnehmers derart mangelhaft, dass es zu dem bedungenen Gebrauch nicht taugt, so ist der Bestandnehmer für die Dauer und in dem Maße der Unbrauchbarkeit von der Entrichtung des Zinses befreit (§ 1096 Abs 1 Satz 2 ABGB). Bei dieser Gesetzesbestimmung handelt es sich nicht nur um eine Gewährleistungsfolge eigener Art (siehe dazu ausführlich Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 Rz 88, Pletzer in GeKo WohnR I § 1096 Rz 114), sondern auch um eine Gefahrtragungsregel (Iro/Rassi in KBB5 § 1096 Rz 1; Pletzer aaO Rz 115; siehe auch Höllwerth aaO § Rz 3; Ofner aaO 109 etc.): Der Bestandgeber trägt das Risiko für alle auf Zufall beruhende Umstände („neutrale Sphäre“), die den Ausfall oder eine wesentliche Einschränkung des Gebrauchsnutzens der Bestandsache zur Folge haben. Er verliert auch bei „gewöhnlichem“ Zufall ganz oder teilweise den Anspruch auf Leistung des Mietzinses. Die aktuelle Pandemie resultiert nicht aus der Sphäre des Bestandnehmers, sie ist kein vom Bestandnehmer zu tragendes „allgemeines Lebensrisiko“ (Lovrek in ZIK 2020 Spezial online, Heft 1a, 2; siehe auch Flume/Laimer, „Periculum est locatoris – Bestandzinsminderung nach den §§ 1104 f wegen COVID-19“, immoZak 2020/14, 28 f).
Während § 1096 Abs 1 Satz 2 ABGB bloß „gewöhnliche Zufälle“ erfasst, werden die Rechtsfolgen der „außergewöhnlichen Zufälle“ in § 1104 ABGB geregelt, aber im Ergebnis ident: Die Preisgefahr trägt der Bestandgeber. Der maßgebliche Unterschied zwischen § 1096 ABGB und den §§ 1104 f ABGB besteht darin, dass der Bestandgeber bei „außergewöhnlichen Zufällen“ in der Regel nicht zur Wiederherstellung verpflichtet ist. Der Bestandgeber trägt damit zwar weiter die Preisgefahr, von der Leistungsgefahr wird er aber befreit (Kronthaler aaO, 322).
Wie Lovrek (in ZIK 2020 Spezial online, Heft 1a, 2) zutreffend ausführt, hat die in der juristischen Diskussion im Vordergrund stehende Frage, ob die Pandemie ein außerordentlicher Zufall im Sinn des § 1104 ABGB ist, für die Zinsminderung der Geschäftsraummiete eher akademische Bedeutung, weil die Preisgefahr bei jeder Art von „Zufall“ den Bestandgeber trifft.
[…]
Im vorliegenden Fall steht überdies fest, dass der Kläger keinen Fixkostenzuschuss beantragt hat. Betrachtet man den Zweck des Fixkostenzuschusses (Erhaltung der Zahlungsfähigkeit und Überbrückung von Liquiditätsschwierigkeiten von einheimischen Unternehmen; siehe dazu Fröhlich/Fuhrmann/Gstaltner aaO 258), wird klar, dass diese Unterstützungsleistung nur den begünstigten Unternehmen zugute kommen soll, zu denen die Vermieter unstrittig nicht zählen. Dabei handelt es sich um eine politische Entscheidung, die von den ordentlichen Gerichten zu respektieren ist. […]
5. Die Berufungswerber meinen, im Zuge der Schadensminderungspflicht hätte der Kläger staatliche Förderungen, etwa durch Beantragung eines Fixkostenzuschusses oder von Zahlungen aus dem Härtefallfonds, in Anspruch nehmen und diese im Ausmaß der geschuldeten Miete an den Vermieter weiterleiten müssen. Zu dieser Frage haben die Linzer Universitätsprofessoren Johannes W. Flume und Simon Laimer „Judikaturarchäologie“ betrieben und tatsächlich einen einschlägigen Plenissimarbeschluss des Obersten Gerichtshofs vom 24.8.1915 (JBl 1915, Beilage zu Nr. 37, 443) gefunden. Dabei ging es um die Frage, ob in Kriegszeiten (der Erste Weltkrieg hatte damals mit zahlreichen Niederlagen und Gebietsverlusten an der Ostfront begonnen) die Flucht der Bewohner eines von einem feindlichen Einfall bedrohten Ortes oder die von der Behörde verfügte Evakuierung dieses Ortes unter § 1104 oder § 1107 ABGB zu subsumieren sei. Der OGH sah die Voraussetzungen des § 1104 ABGB als verwirklicht. Zur Frage, ob sich der Bestandnehmer krisenbedingte Zuwendungen, sei es von staatlicher oder privater Seite, anrechnen lassen muss, führte der Oberste Gerichtshof damals Folgendes aus:
„Abgesehen von den vorstehend angeführten Besonderheiten bleibt aber für den Gegenstandsfall die Regel des § 1104 in voller Geltung, und sie erleidet insbesondere dann keine Einschränkung, wenn dem Flüchtling aus privaten oder öffentlichen Mitteln Mietunterstützungen oder unentgeltliche Unterkunft gewährt worden sind, weil es an jedem gesetzlichen Grunde mangelt, diese Zuwendung oder deren Wert dem Vermieter als gänzlichen oder teilweisen Ersatz für den für ihn entgangenen Mietzins zukommen zu lassen, weil insbesondere der notwendige Kausalzusammenhang zwischen den Zuwendungen an den Mieter und dem Schaden des Vermieters nicht vorhanden ist.“
Nach Ansicht des Berufungssenates ist dieser Auffassung jedenfalls für den Zeitraum des „Ersten Corona-Lockdowns“ ab 16. März 2020 (für die weiteren Lockdowns könnte eine andere Beurteilung angezeigt sein; in diesem Sinne Tamerl/Pfeifer im Standard vom 16.11.2020, 11) uneingeschränkt zu folgen; es ist nicht Aufgabe des Geschäftsraummieters, durch Verzicht auf eine ihm gesetzlich zustehende Mietzinsbefreiung bzw. -minderung auf Kosten des Steuerzahlers Förderungsleistungen zu beantragen, um diese dem Vermieter zukommen zu lassen (siehe zu dieser Frage auch Flume im Standard vom 8.2.2021, 12).
Damit bedarf es entgegen der Ansicht der Berufungswerber keiner zusätzlichen Feststellungen dazu, ob der Kläger einen Antrag auf Unterstützung aus dem Härtefallfonds stellen könnte oder in welchem Umfang er Kurzarbeit beantragt hat. Es schadet daher auch nicht, dass das Erstgericht irrtümlich davon ausgegangen ist, dass die Antragstellung nach dem Härtefallfonds erst ab dem vierten Corona-Monat möglich war (siehe dazu Beilage ./3; Hartl in Resch, Corona-HB1.04 Kap 2).
6. Soweit die Berufungswerber zusätzliche Feststellungen zur Vorsteuerabzugsberechtigung des Klägers begehren, sind sie zum einen darauf zu verweisen, dass sie das Klagebegehren der Höhe nach außer Streit gestellt haben, zum anderen darauf, dass sie mit diesen Ausführungen gegen das im Berufungsverfahren bestehende Neuerungsverbot verstoßen. Dasselbe gilt für die erstmals in der Berufung vertretene Ansicht, dass auch der Verkaufsraum der Buchhandlung des Klägers als Lagerfläche genutzt werden konnte.
In diesem Zusammenhang ist auf Folgendes hinzuweisen: Die Beurteilung, ob und in welchem Umfang die Gebrauchsfähigkeit des Objekts eingeschränkt ist, richtet sich auch im Anwendungsbereich der §§ 1104 f ABGB nach den Grundsätzen des § 1096 Abs 1 ABGB (Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 §§ 1104 bis 1108 Rz 2 und 5; dies in ZIK 2020 Spezial online, Heft 1a, 2; Riss in Kletečka/Schauer, ABGB-ON1.02 § 1096 Rz 31 f und § 1105 Rz 1). Die Minderung des Bestandzinses ist durch Vergleich des Bestandzinses zu ermitteln, der ohne Mangel, und jenem, der mit dem Mangel für das Bestandobjekt am Markt zu erzielen ist (relative Berechnungsmethode; siehe dazu Lovrek in Rummel/Lukas, ABGB4 § 1096 ABGB Rz 111).
Nun wird es unbestritten sein, dass eine Buchhandlung vom Verkaufsraum „lebt“. Mag auch eine Auslage von Bedeutung sein, so dient gerade der Verkaufsraum zum „Stöbern“ und zur persönlichen Beratung. Kaufentscheidungen werden dann oft spontan getroffen. Außerdem scheuen noch immer viele Menschen die Anonymität der Bestellungen im Internet. Bei einem Betretungsverbot fällt daher ein großer Teil des Umsatzes einer Buchhandlung weg; im vorliegenden Fall steht etwa fest, dass in der Zeit des „Ersten Lockdowns“ lediglich maximal 5 % des üblichen Umsatzes erzielt werden konnte. Der Kläger konzediert selbst, dass ihm weiterhin eine eingeschränkte Nutzung möglich war, und zwar der Lagerräumlichkeiten. Eine Überprüfung der vom Kläger vorgenommenen Mietzinsreduktion ergibt, dass er vom Bruttomietzins von € 2.846,02 einen Teilbetrag von € 1.831,44 (vom Kläger errechneter anteiliger Bruttomietzins für den Verkaufsraum) in Abzug bringt. Er nahm daher eine Mietzinsreduktion um etwa 64 % in Anspruch, was angesichts des Betretungsverbotes für den Verkaufsraum eine ohnedies vermieterfreundliche Berechnung darstellt.
Eigene Schlussfolgerung:
a) Es kommt vorab auf die vertragliche Regelung an, denn die Bestimmung des § 1104 ABGB ist „dispostiv“, dh im Vertrag kann eine andere Regelung gefunden werden / worden sein. Unserer Erfahrung nach gibt es jedoch in den bisherigen Verträgen dazu keine Regelungen, sodass der Vermieter das Risiko trägt.
b) Wenn das Mietobjekt „teilweise“ nutzbar war / ist, dann kommt es nur zu einer Minderung im aliquoten Ausmaß.
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